Agatha Christie
„Mord im Spiegel“
(begonnen 19. September 2009)
Agatha Christie: "Mord im Spiegel"
Heute möchte ich mich noch nicht zum Buch direkt äußern. Man merkt, dass ich im Augenblick meine Lektüreliste im Hinblick auf Agatha Christie abarbeite und das mit großem Vergnügen. Eigentlich.
Eigentlich ist eine Einschränkung, die in diesem Falle die Übersetzung betrifft. Was ich nicht mag, sind Bücher, die nach dem komplizierten und langwierigen Prozess des Lektorats grammatikalische Schnitzer aufweisen, die normalerweise beim ersten, spätestens beim zweiten Korrekturlesen auffallen würden.
Das Buch „Mord im Spiegel“ wurde von Ursula Gail übersetzt, keine Ahnung, wer für das Lektorat verantwortlich war. Bis zum neunten Kapitel der Ausgabe von 2006 im Fischerverlag, die 3. Auflage vom November 2008, hatte ich keine Probleme mit dem deutschen Text. Dann in Kapitel neun tauchten zwei Schnitzer innerhalb weniger Seiten auf, die mich ziemlich ratlos gemacht haben, weil sie eigentlich nicht hätten passieren dürfen. Buchstabendreher oder dergleichen können immer passieren, doch direkte grammatikalische Schnitzer dürfen einfach nicht auftauchen, vor allem wenn sie dialektalen Ursprungs sind. Ich erinnere an das Dativ-e in Türe, was auch eine dialektale Erscheinung ist oder die Verwendung von „ich bin gesessen“ anstelle von normativ „ich habe gesessen“. Es ist nun einmal eine Tatsache, dass das Verb „sitzen“ in der Standardsprache das Hilfsverb „haben“ und nicht „sein“ verlangt.
Nun ist „Mord im Spiegel“ bereits das zweite Buch, das ich gelesen habe, in welchem „sitzen“ mit „sein“ in die Vergangenheit gesetzt wird. Das erste war „Die Shakespeare Morde“, im List-Verlag erschienen, und dieses hier ist eben das zweite.
Auf Seite 90 der genannten Ausgabe wird Mr. Preston, Mr. Rudds Sekretär und Mädchen für alles, von Dermot Craddock verhört. Preston äußert sich folgendermaßen über den Fundort der toten Mrs. Badcock:
„In dem (Sessel) ist sie gesessen“, …
Eine Kleinigkeit, wie es scheinen mag, doch den Kindern wird in ihren Aufsätzen diese Wendung als Grammatikfehler angestrichen. Wie kann es aber ein Fehler sein, wenn es in einem Buch erscheint, das von einem seriösen Verlag herausgegeben wird? Gute Frage.
Der nächste Punkt, nur wenige Seiten weiter (S. 94/95) ist ein Kuddelmuddel von Verben, das so, wie es zu lesen ist, merkwürdig erscheint. Es ist umgangssprachlich durchaus „normal“, dass dieses Kuddelmuddel an Verben auftaucht. Doch es handelt sich um ein Buch, welches in der Standardsprache verfasst worden ist und lediglich in den Dialogen Ansätze von Umgangssprache und Dialekt aufweist. Doch das vorliegende Beispiel ist eben kein Dialog, sondern ein Blick der Autorin in die Gedankenwelt von Dermot Craddock.
Gleichzeitig fand er aber auch, dass ihre Vermutung zutreffen konnte, obwohl man dabei nicht gleich an ein Verhängnis zu denken brauchte, wie es jene bewusste Lady of Shalott herannahen gesehen hatte.
Heißt es im Buch. Es geht um den unterstrichenen Bereich. Richtig heißen müsste es:
Gleichzeitig fand er aber auch, dass ihre Vermutung zutreffen konnte, obwohl man dabei nicht gleich an ein Verhängnis zu denken brauchte, wie es jene bewusste Lady of Shalott herannahen sehen hatte. (hört sich blöde an, ist aber so. Mit „kommen“ anstelle „herannahen“ würde es besser klingen, jedoch noch immer nicht geschmeidig.)
Dort taucht kein „gesehen“ auf, sondern eine Regelung greift, auf die ich am Ende noch kommen werde. Stilistisch ist es nicht sehr elegant, doch grammatikalisch nunmehr richtig. Die zweite Variante, die eine elegantere Lösung darstellt, ist folgende:
Gleichzeitig fand er aber auch, dass ihre Vermutung zutreffen konnte, obwohl man dabei nicht gleich an ein Verhängnis zu denken brauchte, wie es jene bewusste Lady of Shalott hatte herannahen sehen.
Auch hier gibt es kein „gesehen“ und die Stellung des gebeugten Verbs ist hier vor dem ersten Infinitiv. Es gibt im Deutschen so etwas wie den Ersatzinfinitiv, der immer dann zum Tragen kommt, wenn in zusammengesetzten Zeitformen – wie dem Perfekt, Plusquamperfekt, und Futur II) – das Partizip II (Partizip Perfekt) direkt hinter einem Infinitiv steht. Zum Beispiel:
Sie hat ihn kommen sehen. (Perfekt)
Sie hatte ihn kommen sehen. (Plusquamperfekt)
Sie wird ihn haben kommen sehen. (Futur II)
Ja, ich bin pingelig, sehr pingelig, vielleicht sogar zu pingelig. Doch mal ehrlich, wenn man davon ausgeht, dass ein Roman um die fünf Durchläufe durch ein Lektorat über sich ergehen lassen muss, bis es endlich zum Druck freigegeben wird und es im Buchladen landet, dann sollten Schnitzer dieser Art wirklich nicht drin sein. Es heißt doch immer, dass sich Rechtschreibung, Stil, Grammatik und Ausdruck bei den Kindern verbessern und ausgesprochen gut sind, die viel lesen. Wenn man jedoch bedenkt, dass die Bücher im Buchhandel nicht fehlerfrei sind … nun ja, man denke sich seinen Teil.
😉
Dennoch lasse ich mir das Vergnügen an dem Buch nicht nehmen. Wer weiß, vielleicht spiele ich ein wenig Miss Marple und suche nach weiteren Schnitzern in dem Roman.